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Reale Beschäftigungschance: Hartz-IV-Bezieher wird auf Basis eines fiktiven Einkommens zu Unterhalt verurteilt

Wer Hartz IV bezieht, ist dadurch nicht automatisch von der Unterhaltspflicht für seine Kinder befreit. Denn anders als das Jobcenter kennt das Familiengericht sogenannte "fiktive Einkünfte", die ein Unterhaltspflichtiger erzielen könnte, wenn er sich mehr bemühen würde - so wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG).

Die geschiedenen Eltern hatten drei Kinder, von denen der ältere Sohn beim Vater lebte, die jüngeren Töchter bei der Mutter. Bereits während der Ehe hatte die Familie Leistungen des Jobcenters bezogen. Nun zahlte die Unterhaltsvorschusskasse für die Mädchen bei der Mutter, das Jobcenter für den Jungen beim Vater. Das Familiengericht hatte zu entscheiden, ob der Vater der Unterhaltsvorschusskasse etwas zu erstatten und in Zukunft den Mindestunterhalt an die Mutter zu zahlen hatte. Ansatzpunkt dafür war das Argument, dass er arbeiten könnte, so dass man fiktiv seine Leistungsfähigkeit errechnete.

In erster Instanz wurde dieses fiktive Einkommen mit dem Mindestlohn ermittelt. Bevor es aber davon etwas an die Töchter zu verteilen gab, wurde der Bedarf des im Haushalt lebenden Sohns abgezogen. So blieben nur 17 EUR monatlich je Tochter übrig. In der Beschwerdeinstanz beim OLG argumentierten die Antragstellerinnen mit Erfolg, der Vater könne mehr als nur Mindestlohn verdienen, zum Beispiel als Fahrer eines Kleintransporters. Vor allem aber sei der Bedarf des Sohns nicht abzuziehen, da dessen Bedarf ja bereits von Hartz IV gedeckt sei. Das OLG errechnete, dass der Vater eine stattliche Summe Rückstand und ab sofort 128 EUR monatlich für die jüngere sowie 159 EUR monatlich für die ältere Tochter zu zahlen habe, auch wenn er kein Einkommen hatte. Das OLG war nicht davon überzeugt, dass der Vater sich um eine Erwerbstätigkeit gekümmert habe. Er habe eine reale Beschäftigungschance, und wenn er sich von Anfang des Verfahrens an bemüht hätte, wäre sein Lohn auf inzwischen 2.250 EUR brutto gestiegen.

Hinweis: Den Bedarf des Sohns hatte das Jobcenter bezahlt - und das konnte nicht zurückverlangt werden, weil dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch die Anrechnung fiktiven Einkommens fremd ist. Bei der Berechnung des Rückstands spielte der Sohn daher keine Rolle. Wird jedoch küntig fiktiv unterstellt, der Vater würde 2.250 EUR brutto verdienen, muss man auch die Konsequenz weiterdenken, dass er dann kein Hartz IV beziehen würde und hiervon auch den Sohn mitfinanzieren muss. Dann aber kann der Unterhalt für die Töchter nur unter Berücksichtigung des Bedarfs des Sohns berücksichtigt werden - die sogenannte Ausfallhaftung -, da bei der Mutter nichts zu holen war. Das OLG ging dabei nicht auf die Frage ein, warum der Vater für den bei ihm lebenden Sohn nicht ebenfalls Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt bekam - oder in dem fiktiv gebildeten Fall für die Zukunft hätte beantragen müssen. Dann hätte sich die Mutter ebenfalls die Frage gefallen lassen müssen, warum sie kein Einkommen erwirtschaften kann.


Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 21.07.2022 - 2 UF 88/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2022)

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